Die größte Überraschung im neuen Job war für mich, welche gravierenden Unterschiede es zwischen Produkt- und Dienstleistungsmarketing gibt. In den letzten zehn Jahren Marketing habe ich das B2B Marketing als ein Ganzes behandelt: Es war für mich kein Unterschied, ob ich eine Software as a Service (SAAS) oder eine Dienstleistung (z.B. Fernsehkanalübertragung oder Beratung) vermarkte. Klar, es waren ja alles Ausprägungen von Dienstleistungsmarketing, auch wenn über „Produkte“ gesprochen wurde. Aber „Produkte“ sind eben nicht gleich „Produkte“.
Häufig wird in Unternehmen mit dem Begriff „Produkt“ freigiebig umgegangen (wie auch mit dem Begriff „Plattform“ oder „Netzwerk“). Von „Produkten“ wird meistens gesprochen, wenn intern eine Einigung über Dienstleistungsbündel hergestellt wurde, d. h. über den Umfang der Leistungen, die dem Markt angeboten werden, über die Skalierung und über den Preis. So werden aus intern-standardisierten Dienstleistungen „Produkte“. Dies hat aber eine begrenzte Relevanz für das Marketing, da es trotz interner Standardisierung keine physischen Produkte sind. Auch deswegen müssen sie als Dienstleistungen vermarktet werden.
Die Feinheiten des Dienstleistungsmarketings liegen in der Natur der Dienstleistungen. Berücksichtigt man diese, wird das Marketing auch anders geführt.
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ToggleDAS ERGEBNIS IST NICHT KONSTANT
Bei Dienstleistungen fehlt der Standard und die Stabilität des Ergebnis‘ – zumindest zu dem Maß, wie es bei industriell gefertigten Gütern der Fall ist. Selbstverständlich versucht das Unternehmen durch das Festlegen von KPIs eine Dienstleistung einzuordnen und zu standardisieren, zum Beispiel durch eine maximale Anzahl von Ausfällen und die Geschwindigkeit der Behebung.
Was aber die Situation komplizierter macht: Die Qualität der Dienstleistungen hängt auf der einen Seite von den Menschen ab, die sie erbringen. Auf der anderen Seite hängt die Bewertung der Qualität von der subjektiven Wahrnehmung der Menschen ab, die sie empfangen. Sie kennen es ja selbst, dass man nicht immer die gleiche Leistung einbringt.
Deswegen ist das Referenzmarketing für Dienstleistungen so wichtig. Deswegen versucht man immer wieder positive Erfahrungen von Kunden zu zeigen, indem man Case-Studies publiziert und zufriedene Kunden animiert, über die Dienstleistungen zu sprechen. Deswegen sind auch alle Arten von Auszeichnungen und Brand-Ambassador-Programmen so relevant für Dienstleistungsmarketing, da die Kunden eben von deren positiven Erfahrungen berichten und somit die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Stabilität des Ergebnis stärken.
GROSSE KOSTEN, GROSSE RISIK
Die Auswahl eines Dienstleisters benötigt große Ressourcen und bringt große Risiken mit sich. Deswegen bleiben Unternehmen auch häufig lange bei Marketing-Agenturen, obwohl sie mit deren Leistung nicht mehr zufrieden sind. Es ist eben einfacher, schnell eine Korrektur selber zu machen, als eine neue Agentur zu suchen und sie einzuarbeiten. Der Zeitaufwand um den Anbieter zu wechseln ist enorm und es gibt keine Garantien, dass der neue Anbieter besser wird. Und es kann auch schlimmer werden, da ein falscher Dienstleister dem Unternehmen mehr Schaden zufügen kann als Gewinne bringen.
Daher ist das Ziel des Marketings hier richtig, mit den Ängsten umzugehen, diese anzusprechen und minimieren. So werden Probe-Projekte (z. B. freie Tests im Fall von Software) angeboten, damit der Kunde ausprobiert und sieht, wie der Anbieter wirklich ist und wie die Dienstleistung abläuft. Im Marketing zerbricht man sich den Kopf bei Ausdenken von neuen Methoden, die Einstiegsbarriere niedriger zu setzen.
AUSWAHL NACH WERTEN UND FARBEN
Eine Auswahl zwischen mehreren Anbietern zu treffen fällt Kunden zusätzlich schwer, wenn die Anbieter sehr ähnliche „Produkte“ anbieten. Nehmen wir zum Beispiel Beratungsunternehmen. In jeder Preiskategorie gibt es mehrere Unternehmen, die auf dem Papier mehr oder weniger identische Dienstleistungen zu mehr oder weniger den gleichen Konditionen anbieten. Dabei behaupten alle, dass sie die besten Leuten für das ausgeschriebene Projekt haben. Nach welchen Kriterien soll man dann auswählen? Design? Sympathie? Meistens wird das als „Bauchgefühl“ bezeichnet. Aber so ist es. Kunden treffen häufig ihre Entscheidung aufgrund der Selbstdarstellung der Unternehmen.
Daher steht im Marketing die Corporate Identity und der Aufbau des Branding im Vordergrund. Es geht nicht darum, schöne gleich aussehende Designs auszuwählen, sondern erstmal grundlegende Werte des Unternehmens zu verstehen, festzuhalten und sie kontinuierlich zu leben. Es geht also nicht darum, eine Broschüre zur Nachhaltigkeit zu drucken, sondern auch stetig nachhaltig zu agieren. Wenn die Anbieter gleiche, harte Kriterien aufweisen, wählen die Kunden denjenigen, der Ihnen vom Gefühl näher steht, der gleiche Werte hat. Diese Werte äußern sich nicht nur im Verhalten, sondern auch im Design. Daher wird am Ende auch so sorgfältig das Corporate Design ausgearbeitet und gepflegt.
KEINER KAUFT VON DEN LEHRER
Und die letzte Herausforderung für das Marketing liegt im Ton und der Art, mit dem Kunden zu kommunizieren. Es ist häufig so, dass Anbieter (insbesondere bei komplizierten technischen Lösungen) die Kunden beraten müssen, um das Projekt erfolgreich zu gestalten. Sie sollten nicht nur als Experten für die eigenen Lösungen auftreten, sondern auch als Branchenexperten. Dabei sollten sie die Linie von Beratung und Unterstützung nicht überschreiten. Wenn das passiert, dann sind sie schon in der Rolle des Lehrers und von Lehrern kauft keiner. So balanciert das Marketing auch immer auf dieser Linie: Informationen zu geben, aber nicht zu viel, um den Kunden nicht zu verschrecken. Das betrifft nicht nur den Inhalt, sondern auch den Ton der Kommunikation. Kunden suchen einen Partner, der Ihnen während des Prozesses zur Seite steht und sie nicht belehrt. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie die Veränderung des Tons und des Informationsgehalts auf die Kunden wirkt. So kann eine kleine Veränderung des Formats in einer klassischen Maßnahme (zum Beispiel Aufteilung Information und Interaktivität während eines Webinars) die Zufriedenheit mit der Maßnahme verändern.
So erlebe ich im neuen Job jeden Tag eine Erleichterung. Klar wird auch das Produktmarketing seine Besonderheiten haben. Auch hier geht es darum, das Vertrauen zum Brand aufzubauen und die Ängste bzw. Einstiegsbarrieren zu reduzieren. Nun habe ich aber Produkte, die bestimmte Funktionen aufweisen. Ich bin froh, bei nächster Messe die Produkte zeigen zu können und sie selbst ausprobieren zu können.